Molecular Sorting

Aus Reststoff wird Rohstoff - Recycling auf molekularer Ebene

Zurzeit werden weltweit jährlich etwa 60 Milliarden Tonnen Ressourcen verbraucht – mit steigender Tendenz. Ressourceneffizienz ist daher einer der wichtigsten Schlüssel für nachhaltige Entwicklung. Als Teil des Nachhaltigkeitskonzepts bildet Ressourceneffizienz ein wichtiges Element nationaler und internationaler Strategien, zum Beispiel auf der Ebene der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der deutschen Bundesregierung. Technisch wird Ressourceneffizienz vorrangig durch Materialsubstitution und kreislaufwirtschaftliche Ansätze in Forschung, Entwicklung und Praxis umgesetzt. Die Fraunhofer-Gesellschaft fördert dazu im Rahmen der Fraunhofer Zukunftsthemen für die »Märkte von übermorgen« mit dem Forschungsvorhaben Molecular Sorting eine methodenorientierte Entwicklung, die mittel- bis langfristig die Wieder- und Weiterverwertung von Werkstoffen durch neue, leistungsfähige Trennprozesse bis auf molekulare Ebene nach der Herstellung oder Nutzung von Produkten ermöglichen wird. Für diese Kreislaufwirtschaft der nächsten Generation haben sich insgesamt sieben Fraunhofer-Institute zusammengeschlossen, um zum einen an ausgewählten Stoffströmen, den sogenannten Demonstratoren, neue Methoden zu erproben, zum anderen die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf weitere Stoffe und Branchen sicherzustellen.

Ökobilanzierung

Die Gewinnung stofflicher Ressourcen aus Abfällen ist unter dem Ziel der Ressourcenschonung grundsätzlich wünschenswert. Allerdings muss der Aufwand in einem vernünftigen Verhältnis zum Nutzen stehen, und zwar nicht nur in ökonomischer, sondern auch in ökologischer Hinsicht. Recycling ist dann ökologisch vorteilhaft, wenn die Umweltlasten der Bereitstellung des Sekundärmaterials unter denen der primären Bereitstellung liegen. Es lohnt sich, Stoffe zu rezyklieren, deren Herstellung aufwändig ist, die aber mit vergleichsweise minimalistischen Verfahren zurückgewonnen werden können. Dabei sind drei Aspekte von zentraler Bedeutung: Erstens, das ökologische Profil der zu ersetzenden Primärmaterialien. Zweitens, die konkrete Ausgestaltung der Verfahren zur Primär- und Sekundärproduktion jetzt und in Zukunft. Drittens, die multidimensionale Bedeutung des Begriffs »Umweltwirkung«. Das ökologische Profil von Primärmaterialien wird gerne als eine fixe Zahl angegeben, beispielsweise als x kg CO2-Äquivalent pro 1 kg Material. Dabei handelt es sich um die Summe der Umweltwirkungen der einzelnen Verarbeitungsschritte. Von der rohen Ressource zum fertigen Material oder gar Werkstück wird das ökologische Profil schrittweise erhöht. Zur Rückgewinnung von Materialien wird der Stoffverbund, in dem diese sich befinden, notwendigerweise aufgelöst und gegebenenfalls auch das Material selbst verändert. Je nachdem an welcher Stelle in dieser Aufwärtskaskade ein Sekundärmaterial eingespeist wird, ist das Recycling mehr oder weniger lohnend. Ein Beispiel: Das ökologische Profil von Hybridbauteilen ist häufig mehr auf die Verarbeitungsschritte als auf die Bereitstellung der einzelnen Materialien zurückzuführen. Im Sinne ökologisch vorteilhafter Recyclingverfahren lohnt es sich tendenziell mehr, stark verarbeitete Werkstoffe oder gar ganze Werkstücke zu ersetzen als die eingesetzten Kunststoffe oder gar deren Monomere. Man bedenke, dies ist nur die eine Seite der Gleichung. Der Aufwand des Recyclingverfahrens ist hier zunächst ausgeklammert.

Die Ausgestaltung der Verfahren verändert sich mit der Zeit. Einerseits befinden sich die in Molecular Sorting zu entwickelnden Verfahren bestenfalls im Prototypenstadium, sind also nicht mit großindustriellen Verfahren vergleichbar. Andererseits verändern sich existierende Verfahren, die bereits im großen Maßstab eingesetzt werden. Klassische Recyclingverfahren (Bulk Sorting) verlieren mit größerer Stoffvielfalt an Effizienz und die primäre Bereitstellung von Materialien verändert sich mit der graduellen Ausbeutung der bekannten Lagerstätten der Input-Ressourcen. Beispielsweise wird die primäre Bereitstellung von Metallen immer aufwändiger, je tiefer die angegriffenen Lagerstätten liegen und je geringer die typischen Metallgehalte in den geförderten Erzen werden, da tiefer gegraben und das geförderte Material stärker aufkonzentriert werden muss. Es ist demnach als allgemeine Tendenz zu erwarten, dass sich Recycling in Zukunft immer mehr lohnt, auch mit zunächst aufwändig erscheinenden Verfahren. Der Begriff »Umweltwirkung« ist komplexer, als es scheint. Oben wird beispielhaft auf die Größe »kg CO2-Äquivalent« verwiesen. Damit ist jedoch nur die Wirkung eines Produkts auf die anthropogen getriebene Klimaveränderung beschrieben. Im Rahmen der ökobilanziellen Betrachtungen in Molecular Sorting wird der Blick neben der Klimawirkung erweitert auf sauren Regen, Überdüngung und Sommersmog. Auch die Inanspruchnahme von Ressourcen wird betrachtet, denn die Vorteilhaftigkeit der Recyclingverfahren ist nicht ganz so eindeutig wie eingangs beschrieben. Es ist möglich, wenngleich unwahrscheinlich, dass durch ein aufwändiges Recyclingverfahren mehr Ressourcen indirekt gebraucht als direkt freigesetzt werden. Je nach Art des betrachteten Produktsystems können die verschiedenen Umweltwirkungen stärker oder schwächer korrelieren oder im Extremfall sogar gegensätzlich verlaufen. Für eine differenzierte Betrachtung ist es unerlässlich, sie einzeln zu erörtern und die Bedeutung von Trade-Offs mit den Verfahrensentwicklern zu besprechen.

Für jedes in Molecular Sorting entwickelte Verfahren wird parallel zur eigentlichen Verfahrensentwicklung ein Ökobilanzmodell des Produktsystems, in dem das Verfahren eingebettet ist, erstellt. Dabei werden die gewonnenen Informationen in mehreren Iterationsschleifen an die Entwickler zurückgeleitet. Am Ende stehen Verfahren, die nicht nur einen »Ökobilanz-Stempel« bekommen, sondern bei denen die ökologische Analyse integraler Bestandteil der Entwicklung ist.