Hygrothermischer Gebrauchstauglichkeitsnachweis einer Effektverglasung durch Klimasimulation

Highlights aus Forschung und Entwicklung

Der weit sichtbare Atakule-Turm ist eines der Wahrzeichen der Fünf-Millionen-Metropole Ankara. Direkt am Fuße entsteht derzeit für eine Bausumme von über 40 Mio € ein modernes Einkaufs- und Erlebniszentrum. In dessen Fassaden sind als gestalterisches Element sogenannte Shadowboxen vorgesehen. Diese bestehen aus einer transparenten Deckverglasung mit einem abgeschlossen Luftraum auf der Rückseite. Dadurch entsteht optisch eine besondere Tiefenwirkung.

Hygrothermischer Gebrauchstauglichkeitsnachweis
© Fraunhofer IBP
Hygrothermischer Gebrauchstauglichkeitsnachweis einer Effektverglasung durch Klimasimulation.
Effektverglasung Klimasimulation
© Fraunhofer IBP
Winternacht mit −15 °C.
Verformungsverhaltens der äußeren Verbundsicherheitsglas
© Fraunhofer IBP
Erfassung des Verformungsverhaltens der äußeren Verbundsicherheitsglas (VSG)-Scheiben während der Klimasimulation mittels Ultraschallsensorik.

Der Entwurf im Bauvorhaben sah zudem eine streifenförmige Bedruckung der Frontscheibe und der verspiegelten Rückseite der Box vor. Zur Beleuchtung mittels LED waren Teile der Stirnseite mit einer zusätzlichen Verglasung ausgeführt.

Die Aufgabe der Abteilung Hygrothermik bestand darin, einen Gebrauchstauglichkeitsnachweis für diese innovative Fassadenkonstruktion unter Beobachtung des Verformungsverhaltens bei Klimawechselbelastung zu führen. Dazu wurde zusammen mit der Fassadenplanungsgesellschaft ein standortspezifisches Prüfprogramm festgelegt. Durch seine Lage auf 1000 Meter Höhe ist das Klima von Ankara durch trockene, kalte Winter und heiße Sommer geprägt. Mittels Auswertung der 10-Jahres-Extreme am Standort des Bauvorhabens entwickelten die Wissenschaftler ein vierstufiges Belastungsszenario, wobei Temperaturen zwischen −15 °C und +40 °C mit Unterschieden zwischen Tag und Nacht von bis zu 30 Kelvin simuliert werden sollten. Die Abteilung verfügt für diesen Zweck über weltweite Klimadatenbanken, mit welchen sich auf digitalem Wege praxisnahe Belastungsszenarien für Bauvorhaben auf allen Kontinenten ableiten lassen. Dies hat gegenüber Normrandbedingungen den Vorteil, dass eine realitätsferne, entweder zu geringe oder übermäßige Beanspruchung der Fassadenelemente im Versuch ausgeschlossen werden kann.

Eine spezielle strahlungsdurchlässige Klimahülle – eine Eigenentwicklung des Fraunhofer IBP mit besonders leistungsstarker Klimaeinheit und digitaler Prozessleittechnik – half, das über fünf Quadratmeter große und viereinhalb Meter hohe Fassadenelement punktgenau zyklisch zu konditionieren. Am »Tag« erfolgte neben der Temperierung auch eine vollflächige künstliche Besonnung mit einer Bestrahlungsstärke von 900 W/m², was zu einer Temperaturbeanspruchung der Verglasung von nahezu 80 °C führte.

An ausgewählten Messpunkten wurde während der gesamten Klimabelastung über mehrere Wochen neben den Bauteiltemperaturen auch das Verformungsverhalten mittels Ultraschallsensoren aufgezeichnet. Durch die Auswertung dieser Daten und regelmäßige Sichtkontrollen konnte dem Planungsbüro und dem ausführenden Fassadenbauunternehmen eine belastbare Datenbasis für die Verifizierung des Konstruktionsansatzes zur Verfügung gestellt werden.

Dies ist nur ein Beispiel für die Vorgehensweise zur Beurteilung der Gebrauchstauglichkeit von Bauprodukten. Da die Auswahl der Randbedingungen in der Regel den größten Einfluss auf die Testergebnisse hat, gilt ihr die besondere Aufmerksamkeit. Das heißt, es muss im Vorfeld abgeklärt werden, welche Klimaparameter für Beanspruchung des Produkts und damit seine Dauerhaftigkeit und Gebrauchstauglichkeit die größte Rolle spielen. Dazu fließen neben praktischen Erfahrungen meist auch numerische Simulationen und die Ergebnisse von Freilandversuchen mit ein (siehe auch: IBP Mitteilung Nr. 546). Diese etwas umfangreichere Betrachtung gewährleistet ein zuverlässiges und auf den jeweiligen Anwendungsfall zugeschnittenes Testdesign.