Üblen Gerüchen auf der Spur

Forschung im Fokus Ausgust 2013

Eine frisch sanierte Wohnung in einem Mehrparteien-Haus in Süddeutschland, beste Lage, der Kaufpreis nichts für den kleinen Geldbeutel. Doch der neue Eigentümer klagt über einen unangenehmen fischigen Geruch - und das, obwohl weder ein Restaurant im Haus, noch ein Fischladen um die Ecke ist. Auch nach mehreren Lüftungsaktionen hält sich der Gestank hartnäckig. Eine Nutzung der Räume scheint zunächst unmöglich. Ein Problem, das den Wissenschaftlern am Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP nicht unbekannt ist. »Immer wieder bekommen wir Aufträge dubiose Geruchsquellen in Gebäuden ausfindig zu machen und bei der Beseitigung der selben beratend tätig zu werden«, erzählt Dr. Andrea Burdack-Freitag, projektleitende Wissenschaftlerin in der Arbeitsgruppe Chemie und Sensorik. Die Gruppe beschäftigt sich unter anderem mit Emissionsquellen in den unterschiedlichsten Bauteilen und deren Verarbeitung. Berücksichtigt werden dabei die Zusammensetzung der Innenraumluft, Geruchscharakteristika von Baustoffen, technischen Materialien und Werkstoffen sowie deren Bewertung und Verbesserung hinsichtlich Fehlgerüchen. Weitere Betätigungsfelder liegen beispielsweise auch in neuen Analysetechnologien oder der Erforschung von intelligenten Lüftungssensoren sowie deren Steuerung.

Bei der oben genannten Wohnung wurde zunächst ein Gutachter eingeschaltet, der dort eine Emissionsanalyse durchführte, wie es auch die Forscher am Fraunhofer IBP in solchen Fällen tun. Dabei wird mit einer Pumpe Raumluft in ein kleines Glasröhrchen gezogen. Dieses ist mit Polymermaterial, das sich durch eine große Oberfläche auszeichnet, gefüllt und eignet sich dadurch hervorragend zur Bindung organischer Stoffe aus der Luft. In einem Gaschromotographen (GC), der mit einem Massenspektrometer (MS) gekoppelt ist, wird die Probe untersucht: das Material wird dazu erhitzt, da auf diese Weise die am Polymer gebundenen Stoffe als Gase wieder frei gesetzt werden. Die Analyse erfolgt nach der Norm DIN/ISO 16000-6, die Bewertung entlang der Empfehlungen der Innenraumhygiene-Kommission des Umweltbundesamtes und gibt Aufschluss darüber, ab welchem Wert die Raumluftprobe gesundheitlich und hygienisch auffällig oder gar bedenklich ist. Im vorliegenden Fall blieb die Emissionsanalyse jedoch ohne Befund. Auch die Abdichtung aller Zuleitungen und Schächte half nicht, den Geruch abzustellen. Die nachfolgenden Trocknungen der Wohnung in Verbindung mit intensiven Lüftungsaktionen brachte keine Besserung, sondern wirkte sich sogar kontraproduktiv aus. Der fischige Geruch blieb, ja er verstärkte sich sogar durch die Heizaktionen.

Menschliche Nase statt Messtechnik

»Solche Fälle erreichen uns häufig: Unangenehme Geruchsstoffe, die die Nase wahrnimmt, die jedoch nicht messbar sind«, berichtet Aromachemikerin Andrea Burdack-Freitag. Dann machen die Wissenschaftler zunächst eine sogenannte sensorische Begehung, um die Geruchsquelle zu lokalisieren. »Die Sensorik bietet einfach noch einmal umfangreichere Möglichkeiten in der Analyse«, so die Fraunhofer-Forscherin. Zunächst werden alle Bauteile auf die Freisetzung störender Gerüche hin untersucht. Die Oberflächen werden dabei mit den Händen angerieben, die allerdings unbedingt durch Vinylhandschuhe geschützt sein müssen, um eine Kontamination durch Handschweiß zu vermeiden. Außerdem werden die Materialien mit destilliertem Wasser besprüht und mit Heißluft erwärmt. Alle diese Methoden sind geeignet, zerstörungsfrei Gerüche freizusetzen und so eine intensivere olfaktorische Wahrnehmung zu gewährleisten. In den Räumlichkeiten der besagten Wohnung stellte man daraufhin fest, dass der fischige Geruch vom Boden aber auch sehr intensiv von den Wänden abgegeben wurde. Einige Mitarbeiter am Fraunhofer IBP sind auf Grund langer Erfahrung, Trainings, aber auch durch angeborene Fähigkeiten in der Lage, Aromen in Bezug auf Intensität und Qualität differenzierter und länger riechen zu können. Die meisten Menschen gewöhnen sich sehr schnell an Gerüche und nehmen diese dann schwächer oder gar nicht mehr wahr. Geschätzte fünf Prozent der Bundesbürger fallen unter den Begriff Anosmiker. Diese Gruppe kann entweder gar keine Geruchsstoffe wahrnehmen oder diese nicht einzeln herausriechen. Andrea Burdack-Freitag gehört jedoch zu eben dieser Gruppe, deren olfaktorische Wahrnehmung sich nicht adaptiert und die aus einem bestimmten Geruch verschiedene Komponenten herausriechen kann. Ungeschulte Nasen können in der Regel ein bis zwei Aromen erkennen, geschulte schaffen meistens vier bis sogar fünf.

Geruchsdatenbank für einen sensorisch geschulten Probandenpool

Die Chemiker am Fraunhofer IBP wenden viel Zeit für die Schulung von Probanden auf. Denn um beispielsweise Aromen und Gerüche in einem Produkt differenziert bewerten zu können, bedarf es nicht nur einer guten Nase. Ungeschulte Probanden können in der Regel nicht nur weniger unterschiedliche Stoffe erriechen, sondern diese auch nicht punktgenau beschreiben. »Unsere unerfahrenen Testpersonen bewerten Gerüche meist emotional und in Verbindung mit eigenen Erfahrungen. Oft erhält man dann Vergleiche, wie beispielsweise ´das riecht wie in der Kirche‘ oder ‚der Geruch erinnert mich an die Küche meiner Oma‘. Diese Aussagen dann in ein allgemeines Analyseprofil zu bringen, ist sehr zeitaufwendig und manchmal sogar überhaupt nicht möglich«, beschreibt Burdack-Freitag das Problem. Daher greift die Wissenschaftlerin meistens auf zirka 30 Testriecher zurück, die regelmäßig ein spezielles Training erhalten und die Gerüche nach einem anerkannten Vokabular beschreiben können. Dann sind die Aromen eher ‚fruchtig, erdig, malzig‘ oder eben ‚fischig‘. In regelmäßigen Abständen muss sich das geschulte sensorische Panel zu einer »Geruchsübung« einfinden. Dabei wird trainiert, bestimmte Stoffe, die einen Geruch verantworten, anhand einer genormten Skala zu erkennen und im Fachjargon zu benennen.

Geruchsquelle erkannt und gebannt

DenSensorikern des Fraunhofer IBP war es bald gelungen, den Fehlgeruch in der geschilderten Wohnung ursächlich dem Bodenbelag bzw. dem darunter liegenden Estrich zuzuordnen. Sie begannen mit einer laboranalytischen Sensorik. Das ist die Kopplung von klassischer instrumenteller Analytik mit der menschlichen Wahrnehmung. Die Untersuchungen werden dann letztlich im Labor vorgenommen und die Forscher „schnüffeln am Analysengerät“. Da der abgekratzte Wandputz nicht verantwortlich schien und der Gestank eindeutig auf Amine hinwies, fiel der Verdacht auf den Boden bzw. Estrich. Die Analyse im Gaschromotographen/Massenspektrometer (GC-MS) mit einem olfaktorischen Port (Schnüffel-Ausgang) brachte den Beweis: Der fischige Geruch konnte eindeutig den Amin-haltigen Additiven im Estrich, v. a. dem Mahlhilfsmittel Triethanolamin und dessen Abbauprodukten zugeordnet werden. Der Geruch an den Wänden stellte sich als Sekundärkontamination heraus. Die Vermutung lag nahe, dass vor dem Verlegen des Bodens dem Estrich nicht genügend Zeit zum Abbinden gegeben wurde. Dem Wohnungsbesitzer wurde empfohlen, nach Entfernung der Primärquelle, also dem kompletten Boden, auch die Wände abzuschleifen und neu zu streichen. Danach steht einer Nutzung der Räume nichts mehr im Wege.

(taf)

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