Lebensmittelabfälle sind mehr als nur Müll

Forschung im Fokus April 2015

Wer kennt das nicht? Im vollen Kühlschrank wird schnell mal der eine oder andere Joghurt übersehen, das Brot schimmelt und irgendwie hat man heute doch wieder viel zu viel gekocht: Weltweit landen laut Angaben der Welternährungsorganisation FAO ein Drittel der produzierten Lebensmittel auf dem Müll. Die Universität Stuttgart fand in einer Studie für Deutschland heraus, dass allein in den Haushalten jährlich knapp sieben Millionen Tonnen, bevorzugt an Obst und Gemüse, aber auch an Backwaren, Speiseresten und Milchprodukten, entsorgt werden. Durch die Verschwendung der Lebensmittel wird auch die Umwelt extrem belastet. So braucht man beispielsweise zirka 1.000 Liter Wasser, um ein Kilogramm Brot herzustellen, die gleiche Menge Käse schlägt sogar mit ungefähr 5.000 Litern zu Buche. Auch der Energiebedarf der produzierenden Betriebe ist ebenso wenig zu vernachlässigen wie die bei der Herstellung entstehenden Emissionen. So teilte etwa die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN im vergangenen Jahr mit, dass dabei durch die Essensverschwendung jährlich drei Milliarden Tonnen an umweltschädlichen Gasen ausgestoßen werden. Zahlen, die nicht nur den Endverbraucher, sondern auch Industrie und Forschung ins Grübeln bringen. Eine bereits etablierte Technologie, unvermeidbare Essensreste zu verarbeiten, ist, sie in Biogasanlagen zur Energieerzeugung zu nutzen. Doch das ist nur eine Möglichkeit …

Ein weiteres Problem, das Regierungen, Industrie und Wirtschaft sowie auch die Forschung in ganz Europa beschäftigt und vor neue Herausforderungen stellt, ist eine zunehmende Ressourcenverknappung. Der Trend geht massiv zur Energieeinsparungen und als Folge dessen zum vermehrten Einsatz erneuerbarer Energien. Neue Gesetze und Verordnungen in der EU bestätigen diese Entwicklung. Innovative Technologien, um beispielsweise wertvolle, nicht nachwachsende Rohstoffe zu ersetzen, rücken zunehmend ins Interesse von Industrie und Forschung. Hier setzt auch das EU-Projekt »PlasCarb« an, an dem auch das Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP beteiligt ist. Unter der Leitung des englischen Technologiezentrums Centre of Process Innovation (CPI) ist »PlasCarb« auf drei Jahre angelegt und wird vom siebten Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Kommission gefördert. Ziel ist es, aus gemischten Nahrungsmittelabfällen Graphitkohlenstoff (C) und Wasserstoff (H2) zu gewinnen. Ersteres gilt als eines der 14 kritischen Rohstoffe, die die EU benannt hat. Zum einen beschäftigt sich das Konsortium mit der technologischen Aufbereitung der beiden Stoffe, zum anderen wird die Abteilung Ganzheitliche Bilanzierung des Fraunhofer IBP mit einer Ökobilanzierung (engl. Life Cycle Assessment, LCA) und einer Lebenszykluskostenrechnung (engl. Life Cycle Costing, LCC) die ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit des Prozesses prüfen und bewerten. »Aufbauend auf der standardisierten und genormten Ökobilanz sowie deren Ergebnisse haben wir mit der LCC-Methode die Möglichkeit, wirtschaftliche Aspekte unter identischen Systemgrenzen und Randbedingungen zu analysieren«, erklärt Christian Peter Brandstetter, Wissenschaftler in der Arbeitsgruppe Werkstoffe und Produktsysteme der Abteilung Ganzheitliche Bilanzierung am Fraunhofer IBP seinen Part am »PlasCarb«-Projekt.

PlasCarb als technische Innovation und nachhaltiges Geschäftsmodell für zukünftige Märkte?

Die Technologie bei »PlasCarb« basiert auf dem Vorgang der anaeroben Vergärung von Lebensmittelresten wie sie heute in Biogasanlagen zum Einsatz kommt. Das dabei entstehende Biogas besteht zum größten Teil aus Methan (40 bis 75 Prozent) und Kohlendioxid (25 bis 55 Prozent) sowie aus Wasser (null bis zehn Prozent), Stickstoff (null bis fünf Prozent), Sauerstoff (null bis zwei Prozent) und zu einem jeweils kleinen Teil (null bis ein Prozent) aus Wasserstoff, dem Schwefelwasserstoff und Ammoniak. Das Biogas muss daher für die nachfolgende technische Anwendung gereinigt werden, sodass das von den Störstoffen gereinigte Methan in einem innovativen Niedrigtemperatur-Mikrowellen-Plasma-Verfahren in hochwertigen Graphitkohlenstoff und Wasserstoff gespaltet werden kann. Es ist geplant binnen eines Monats durch die Vergärung von 150 Tonnen Lebensmittelresten, 25.000 Kubikmeter Biogas zu generieren und aus einem Anteil von zirka 2.400 Kubikmetern hochwertigen Graphitkohlenstoff sowie Wasserstoff gewinnen zu können.

Damit »PlasCarb« jedoch nicht nur ein technologisch innovatives Projekt bleibt, sondern auch die neuen Märkte von der Ökologie und der Wirtschaftlichkeit des Prozesses überzeugt werden können, arbeiten Brandstetter und seine Kollegen an dessen Analyse. Denn letztlich geht es für die Industrie natürlich darum, ob der Aufwand – also das Einrichten und Betreiben dieser Anlagen – auch den umweltlichen und monetären Gewinn dieser wertvollen Rohstoffe rechtfertigt. Kohlenstoff ist vor allem für die Leichtbaubranche von immenser Bedeutung. Besonders im Auto- und Flugzeugbau ist das Interesse an dem Werkstoff groß, da er leicht wie Aluminium, aber dabei hart wie Stahl ist. Durch die Gewichtseinsparungen kann der Treibstoffverbrauch und damit beispielsweise die CO 2-Emission deutlich gesenkt werden – die genaue Einsatzwahl ist allerdings nicht trivial, wie das Fraunhofer IBP in der Studie »Leichtbau in Mobilität und Fertigung - Ökologische Aspekte« dargelegt hat. Man muss stets den gesamten Kreislauf im Blick behalten. Wasserstoff ist speicherbar und vielseitig mit gängiger Infrastruktur einsetzbar, stofflich sowie für Mobilitätszwecke nutzbar oder dient der Verstromung. Gute Gründe an der Gewinnung dieser Stoffe zu arbeiten. »Wir werden projektbegleitend analysieren, ob das Vorhaben ein nachhaltiges und technisch optimal umsetzbares Nahrungsabfallmanagement für Europa darstellt«, so Brandstetter.

Methode der Ökobilanzierung und Lebenszykluskostenrechnung

Mit der Ökobilanzierung ist eine systematische Analyse der Umwelteinwirkungen von Produkten, Verfahren oder Dienstleistungen entlang des gesamten Lebensweges möglich. Dabei fließen alle Umwelteinwirkungen während der Produktion, der Nutzungsphase und der Entsorgung mit ein sowie alle damit verbundenen vor- und nachgeschaltete Prozesse. »Wir überschreiben diesen Ansatz der ganzheitlichen Betrachtung auch mit dem Satz ‚Von der Wiege bis zur Bahre‘«, fügt der IBP-Forscher hinzu. Die Ökobilanz ist ein Teil der Ganzheitlichen Bilanzierung und ist in der Norm ISO 14040 ff standardisiert. Demzufolge gibt es vier aufeinanderfolgende Schritte, entlang derer die Wissenschaftler vorgehen. Zunächst werden die Ziele und der Untersuchungsrahmen des Projekts genauestens festgelegt. Dazu gehören zum Beispiel die Definition des Systems und seine Grenzen, das heißt, auf was sich die Analyse bezieht, sowie die Anforderungen an die Datenqualität, mit der gearbeitet wird. Die nachfolgende Sachbilanz beinhaltet die Erfassung und Quantifizierung aller ein- und ausgehenden Stoff- und Energieströme. Mithilfe dieser quantifizierten In- und Outputs werden bei der Wirkungsabschätzung über entsprechende Charakterisierungsmodelle die potentielle Umweltwirkungen, Einflüsse auf die menschliche Gesundheit und Ressourcenverfügbarkeit softwaregestützt errechnet. Final werden die Ergebnisse der Sachbilanz und Wirkungsabschätzung im Rahmen der Auswertung in Bezug auf das anfangs festgelegte Ziel der Ökobilanzstudie interpretiert.
»Nachhaltiges Handeln endet aber nicht mit der Betrachtung der ökologischen Aspekte«, verdeutlicht Christian Peter Brandstetter. Auch der wirtschaftliche Aspekt bei der Prozess- und Produktentwicklung spielt eine zentrale Rolle. »Um gerade sehr innovative Ideen für die Märkte attraktiver zu machen, ist die Lebenszykluskostenrechnung (LCC) ein wertvolles Instrument und eine geeignete Methode zur nachhaltigen Entscheidungsunterstützung«. Der Lebenszyklus wird dabei analog zum Betrachtungsrahmen der Ökobilanz definiert. Bei einer LCC-Analyse ermitteln die Wissenschaftler des Fraunhofer IBP die gesamten Lebenszykluskosten eines Produkts oder einer Dienstleistung. Kostentreiber im Prozess können somit isoliert, bewertet, ggf. verglichen und optimiert werden. Bereits in einer sehr frühen Entwicklungsphase des Produkts können mithilfe der LCC-Methode die Investitions- und Betriebskosten abgeschätzt werden – eben ein gravierender Punkt, um Entscheidungen dafür oder dagegen zu treffen.
Brandstetter und seine Projektpartner schätzen das enorme Potenzial, das in diesem Projekt steckt. Denn mit Lebensmittelabfällen für eine sauberere Umwelt zu arbeiten, ist ein starker Motivator, innovative Technologien zu entwickeln und neue Wege zu beschreiten. (taf)
 
Alle Partner des »PlasCarb«-Projekts:
Centre for Process Innovation Limited
GasPlas AS
Centre National de la Recherche Scientifique, CNRS
Uvasol Ltd
GAP Waste Management
Geonardo Environmental Technologies Ltd
Abalonyx AS
Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP

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