Baustoff aus Rohrkolben

Tragfähiger und dämmender Baustoff

Die landwirtschaftliche Erzeugung von Rohrkolben (lat. Typha) als Rohstoff für die industrielle Verwertung verknüpft zahlreiche ökologische und ökonomische Vorteile.

Rohrkolbenanbau in Nieder­mooren
© typha technik Naturbaustoffe
Rohrkolben (lat. Typha) wächst schnell und ist weltweit einfach zu kultivieren.

Rohrkolben ist aufgrund seiner enormen Produktivität prädestiniert als Rohstoff für die industrielle Verwertung. Typhabestände sind unempfindliche, natürliche Monokulturen, die jedes Jahr 15 bis 20 Tonnen Trockenmasse pro Hektar hervorbringen (circa 150 – 250 m³ Baustoff). Dies entspricht dem vier- bis fünffachen Wert dessen, was heimische Nadelwälder liefern. Mit dem Anbau auf Niedermoorböden und Talböden in Deutschland (als Nährstofffallen, CO2-Senken und Erosionsbremsen, zur Wasserretention und Biotopbildung) ließe sich eine ausreichende Grundlage zur Deckung des Gesamt­bedarfs an Dämm- und Wandbaustoffen bilden. Die Umsetzbarkeit des Anbaus von Typha wurde in dem von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten Projekt »Rohrkolbenanbau in Niedermooren« unter Leitung des Lehrstuhls für Landschaftsökologie der TU München (1998-2001) gezeigt.

Das Typhaboard
© typha technik Naturbaustoffe
Das Typhaboard bedient sowohl statische als auch dämmende Aufgaben in einer Lage.

Durch die besonderen strukturellen Eigenschaften lassen sich Baustoffe erzeugen, die eine am Markt einmalige Kombination aus Dämmung und Tragwirkung bieten. Die besondere Eignung der Blattmasse von Typha für die Herstellung von inno­vativen Baustoffen ist durch die Struktur der Pflanze bestimmt. Die Blätter haben ein faserverstärktes Stützgewebe, ausgefüllt mit einem weichen, offenzelligen Schwammgewebe, was ihnen eine erstaunliche Statik und eine ausgezeich­nete Dämmwirkung verleiht.

Das Fraunhofer Institut für Bauphysik IBP hat in den letzten Jahren in Zusammenarbeit mit dem Erfinder Dipl.-Ing. Werner Theuerkorn zahlreiche Labor- und Freilanduntersuchungen an unterschied­lichen Produktentwicklungen aus Typha durchgeführt. Im Laufe der Forschungsarbeiten entstand eine Vielzahl interes­santer Produkte, vor allem ein mineralisch gebundener, isotroper Plattenwerkstoff ist besonders interessant

Typhahouse in der Entstehungsphase
© Fraunhofer IBP
Das Typhahouse wurde im Rahmen der EXPO 2015 in Mailand ausgestellt.
Einblick in das Typhahouse
© typha technik Naturbaustoffe
Besucher hatten bei der EXPO 2015 die Möglichkeit, den Einsatz des Typhaboards live zu erleben.

Die neu entwickelte magnesitgebundene Typhaplatte weist trotz niedriger Wärmeleitfähigkeit von 0,052 W/mK eine außerordentlich hohe Festigkeit und dynamische Stabilität auf, so dass sie auch statische Aufgaben bedienen kann. Dieser neue Baustoff bringt außerdem eine Reihe zusätzlicher positiver Eigenschaften mit:

  • Nachwachsender Baustoff mit sehr hoher Schimmelpilzresistenz
  • Guter Brand-, Schall- und sommerlicher Wärmeschutz
  • Einfache Verarbeitbarkeit; mit allen gängigen Werkzeugen 
  • Relativ diffusionsoffen und kapillaraktiv
  • Niedriger Energieaufwand bei Produktion
  • Rückführbarkeit in den Stoffkreislauf

Die magnesitgebundene Typha-Platte ist als neuartiger Baustoff äußerst konkur­renzfähig, vor allem dann, wenn sie in einem rationellen Verfahren hergestellt wird und damit die Chance einer erheb­lichen Preisminderung bei wesentlichen Bauteilen bietet.

Anbringung von Typha-Mörtel
© typha technik Naturbaustoffe
Ein spezieller Mörtel mit Bestandteilen als Rohrkolben wurde verwendet, um den Raum vor Zugluft zu schützen.
Mit Typha saniertes Fachwerkgebäude
© Fritsch + Knodt & Klug ArchitektInnen
Das sanierte Fachwerkgebäude in der Pfeifer­gasse 9 in Nürnberg.

Das von den Altstadtfreunden Nürnberg e.V sanierte Fachwerkgebäude in der Pfeifergasse 9 in Nürnberg, besitzt einen asymmetrischen Gebäudeaufbau mit Frackdach und unzureichender Aussteifung des Traggefüges. Die Bauaufgabe bestand in der Wiederherstellung der Fachwerksichtigkeit, Einhaltung der EnEV 2009 und Berücksichtigung der Aspekte der Denkmalpflege bei gleichzeitiger Stabilisierung des Gebäudes. Diese Anforderungen erfüllt das verwendete Typha-Plattenmaterial. Der modellhafte Material­einsatz wurde von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt und vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege gefördert.

Mit dem Typha-Board wurde eine extrem schlanke Außenwandkonstruktion von 16 cm zuzüglich 4 cm Putz mit Wandheizung verwirklicht. Durch die einfache Bearbeitbarkeit und hohe Eigensteifigkeit konnte das Material an die unregelmäßigen, schiefen Wände angepasst werden. Zur Herstellung der Winddichtigkeit wurde Typha-Fugenquellmörtel in die Fugen und Holzrisse mit Kartuschenpressen einge­bracht. Der Außenputz wurde als besonders diffusionsoffener dreilagiger Putz aus Kalktuffsand und Kalk direkt auf das Plattenmaterial aufgebracht und mit Samenflugschirmchen der Rohrkolbenpflanze armiert.

Das Fraunhofer IBP überprüfte in einer einneinhalbjährigen Messperiode die Funktionstauglichkeit des Wandaufbaus und ermittelte einen Wärmedurchgangskoeffizienten (U-Wert) für die Ausfachung von 0,26 W/m²K. Der U-Wert der Gesamtkonstruktion (Gefach und Holzkonstruktion) beträgt 0,31 W/m²K. Die durch Quellmörtel und Putz eingebrachte geringe Feuchtigkeit trocknete rasch auf einen konstanten Feuchtigkeitswert im Holzständer von unter 20 M.-%.