Alles Ansichtssache – Gebäude bauen, planen, betreiben

Forschung im Fokus September 2015

Großprojekte wie der Berliner Flughafen oder die Elbphilharmonie in Hamburg beschäftigen seit langer Zeit nicht nur die Planer und Verantwortlichen, sondern auch die Öffentlichkeit. Ins gefühlt Endlose steigende Baukosten und die permanenten Verschiebungen von Eröffnungsterminen quittieren viele nur noch mit humorlosem Schmunzeln und Kopfschütteln. Doch auch viele mittlere Bauprojekte wie Einkaufszentren, Büro- oder öffentliche Gebäude schaffen aufgrund von Planungsmängeln, Baufehlern und explodierenden Kosten den Sprung in die Schlagzeilen. Schon vor ziemlich genau drei Jahren stellte sich die deutsche Bauindustrie die zentrale Frage: »Überschreitung der Bauzeit und des Baubudgets – unvermeidbar?« und verfasste ein Positionspapier dazu.
Jedes Bauwerk ist ein Unikat und neben unkalkulierbaren Risiken – dazu gehören beispielsweise unvorhergesehene archäologische oder Munitionsfunde, Preissteigerungen von Rohstoffen sowie ungünstige Witterungsbedingungen – stellt sicherlich die individuelle Planung mit all ihren Prozessen die größte Herausforderung für alle Beteiligten dar. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass viele Lösungsvorschläge des Positionspapiers eine straffere, genauere und mit allen Beteiligten abgestimmte Planung sowie ein kompetentes Projektmanagement erfordern. Ein Weg für eine interdisziplinäre und effiziente Planung und Betreibung von Gebäuden ist das Building Information Modeling, kurz BIM. In diesem Bereich bietet auch das Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP seine wissenschaftlichen Fachkompetenzen an.

Das deutsche Bauwesen ist gekennzeichnet von der Zusammenarbeit vieler kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMU), die sich bei jedem Bauprojekt neu organisieren und in immer wieder neu gegründeten Konsortien mit ihren jeweils eigenen Geschäftsprozessen aufeinander abstimmen müssen. Zudem steht die Bauindustrie international vor der Herausforderung einer stetig zunehmenden Spezialisierung. Damit gehen eine fortschreitende Fragmentierung der Planung und eine daraus resultierende steigende Komplexität der Bauvorhaben mit vielen gegenseitigen Abhängigkeiten und Wechselbeziehungen einher. Und das alles bei anhaltend steigendem Termin- und Kostendruck. »Mit klassischen Planungsmethoden, die sich an 2D-Plänen orientieren, sind die wachsenden Anforderungen an Bauvorhaben immer weniger zu beherrschen«, erklärt Peter Noisten vom Fraunhofer IBP. Der Wissenschaftler hat die Leitung für das Förderprojekt BIMiD inne. Das Fraunhofer IBP fungiert als Projektkoordinator und ist für die Sicherstellung der Projektziele, die Koordination aller Partner sowie die Einhaltung der Zeit- und Kostenpläne verantwortlich. BIMiD ist Teil der Förderinitiative »eStandards: Geschäftsprozesse standardisieren, Erfolg sichern« im Rahmen des Förderschwerpunkts »Mittelstand-Digital« des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Das Projekt soll Building Information Modeling anhand konkreter Bauprojekte beispielhaft demonstrieren und durch die dabei gewonnenen Erkenntnisse der deutschen Bau- und Immobilienwirtschaft nützen.
In dem Begriff »Bauwerksdatenmodellierung« (Building Information Modeling, BIM) oder auch »Bauwerksdatenmanagement« sehen viele Fachleute inzwischen eine vielversprechende Lösung, die außerdem die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Bau- und Immobilienwirtschaft enorm steigern kann. Denn BIM setzt bei der Planung, Bauausführung und Bewirtschaftung von Gebäuden und sonstigen Bauwerken auf durchgehende, das heißt unternehmensübergreifende und medienbruchfreie Geschäftsprozesse unter Verwendung offener, herstellerneutraler E-Business-Standards. »Eine gemeinsame Sprache, sprich die Definition fachlicher Anforderungen in Form von Prozessen und den auszutauschenden Informationen, eine formale Beschreibung der Schnittstellen bzw. die Abbildung auf existierende Standards und die Erstellung ergänzender Dokumentationen sowie die Bereitstellung von Beispielen ist für einen effektiven Prozess unabdingbar«, so Noisten und fügt hinzu: »Während diese Methoden in den USA, in England oder Skandinavien schon weit verbreitet sind, gibt es hier in Deutschland noch einen großen Nachholbedarf.«

Das Förderprojekt »BIMiD«

Zu Beginn des Förderprojektes wurden von den beteiligten Partnern drei Ziele definiert. Als eine wesentliche Voraussetzung für den Einsatz der BIM-Methode soll erstens eine prozessorientierte Arbeitsweise in der Planung und Bauphase entwickelt werden, die sich an Referenzprozessen aus anderen Wirtschaftsbereichen orientiert und an die konkreten Bauvorhaben angepasst werden soll. In einem zweiten Schritt wollen die Projektbeteiligten Vorbehalte der potenziellen Anwender, die der erfolgreichen Anwendung und Verbreitung von BIM bislang entgegenstehen, identifizieren und angemessen berücksichtigen. Eine didaktische Aufbereitung der gewonnenen Ergebnisse sollen letztendlich die Weiterbildungsangebote im BIM-Bereich verbessern und speziell darauf ausgerichtete Studiengänge ermöglichen. Daraus ergibt sich eine breite Zielgruppe, die an den gewonnenen Erkenntnissen partizipiert. Zunächst betrifft das natürlich alle Fachleute entlang der gesamten Wertschöpfungskette in der Bau- und Immobilienbranche, insbesondere Architekten, Bauingenieure und Fachplaner, Bau- und Immobilienunternehmen, Facility Manager und Handwerksbetriebe. Daneben gehören aber auch öffentliche und private Bauherren und Eigentümer dazu, da auch sie von den möglichen Effizienzsteigerungen durch BIM profitieren und eine wichtige Rolle bei der Anwendung und Verbreitung spielen. Außerdem nützen die zu erwartenden Forschungsergebnisse all jenen, die mit BIM in der Aus- und Weiterbildung befasst sind.

Was macht BIM so brisant?

Auf dem ersten BIM-DETAIL Kongress Ende November 2014, bei dem das Fraunhofer IBP Kooperationspartner war, wurden in München die Vor- und Nachteile diskutiert und mögliche Wege skizziert. Der Informationsbedarf war groß, denn in Deutschland sind noch längst nicht alle Verantwortlichen von der Methode überzeugt. Was für die Einen als die Patentlösung der Zukunft gilt, ruft bei anderen Ängste und Bedenken auf den Plan. Bisher sind in erster Linie große Unternehmen und Architekturbüros, die auf internationaler Ebene planen und bauen, die Verfechter die BIM-Methode. Doch das soll sich ändern und die Vorteile, die in dem System schlummern, sprechen eine deutliche Sprache: eine bessere Abstimmung zwischen den Fachplanern und den einzelnen Gewerken, weniger Planungsfehler oder das nicht mehr notwendige wiederholte Eingeben von Daten steigern beispielsweise die Kosten- und Zeiteffizienz. Das Erstellen von 3D-Modellen in der Planungsphase zeigt unter anderem frühzeitig eine Kollision von Haustechnikleitungen und Tragwerkselementen und eine daraus abgeleitete computergestützte Simulation kann schon vor Baubeginn wichtige Informationen über Statik oder Energiebedarf des Gebäudes liefern.

Doch stehen auch begründete Fragen im Raum: Wie könnten sich Berufsbilder und Organisationsformen der Baubranche verändern? Verschieben sich Kompetenzen, Leistungsbilder und Verantwortung? Und wie soll vor allem der Datenaustausch zwischen den verschiedenen Firmen und Betrieben funktionieren, wenn jeder eine andere Software benutzt?
Mit diesen wichtigen Punkt beschäftigt sich schwerpunktmäßig eines von insgesamt sechs Arbeitspaketen, die im Rahmen des BIMiD-Förderprojekts bearbeitet werden. Darin geht es um die Standardisierung von Geschäftsprozessen, Datenanforderungen und Schnittstellen. Die Arbeiten in diesem Paket dienen auch der Vorbereitung der erforderlichen Schulungskonzepte für die didaktische Aufbereitung des Referenzprojektes und sind die Basis für den Vergleich zwischen der traditionellen und der BIM-basierten Bauweise in dem Arbeitspaket »Vorbereitung und Unterstützung des Bauvorhabens«, für das das Fraunhofer IBP zuständig ist. Die von den Wissenschaftlern entwickelte Methode kommt hierbei effektiv zum Einsatz.

Referenzobjekte in Braunschweig & Ingolstadt

Im Zentrum des Verbundprojekts BIMiD steht ein konkretes Bauvorhaben, bei dessen Planung und Bauausführung von Beginn an diese Prozesse und Standards angewendet, weiterentwickelt und wissenschaftlich evaluiert werden. Neben technischen Aspekten wie der Schnittstellendefinition und Fragen der Anwendungsmethodik widmet sich BIMiD auch der Arbeitsorganisation und der Anwenderakzeptanz.

Nach einem mehrmonatigem Auswahlverfahren unter knapp 100 Bewerbern entschied sich das BIMiD-Konsortium für das Neubauvorhaben »Bürogebäude Haus H«, ein fünfgeschossiges Verwaltungsgebäude, der Volkswagen Financial Services AG (VWFS) in Braunschweig. »Ausschlaggebend für unsere Entscheidung war, dass die Initiative für die Bewerbung vom Bauherrn selbst ausging und dieser überzeugend darlegen konnte, künftig beim Planen und Bauen konsequent auf die BIM-Methode setzen zu wollen«, erklärt Peter Noisten die Wahl. Ein weiterer Pluspunkt war, dass die VWFS das fertiggestellte Gebäude mit seinen 400 hochmodernen und flexiblen Arbeitsplätzen selbst betreiben und nutzen wird. »Somit ist garantiert, dass das Datenmodell während des gesamten Lebenszyklus des Bauwerks zur Anwendung kommt und beispielsweise schon in einer frühen Planungsphase das Facility Management von VWFS eingebunden werden kann«, so Noisten.
Inzwischen ist die Ausführungsplanung am virtuellen Gebäudemodell abgeschlossen. In dieser Phase war der Bauherr vor allem von der hohen Flexibilität in Bezug auf Änderungen und der Transparenz begeistert, die in der BIM-Methode liegt. »Kollisionen zwischen einzelnen Gewerken konnten bereits im Vorfeld vermieden werden, da sie frühzeitig im Modell erkannt wurden. Alternativlösungen waren deutlich schneller bei der Hand als bei solch großen Bauprojekten üblich«, resümiert Sabine Burkert vom Immobilienmanagement der VWFS. Anfang Juli erhielt die VWFS die Baugenehmigung. Nachdem die Baustelle am Braunschweiger Käferweg eingerichtet worden war, rollten die Bagger für die Erdarbeiten an. Trotz der schwierigen örtlichen Verhältnisse sowie der damit verbundenen anspruchsvollen Baustellenlogistik fiel bereits Mitte August der Startschuss für die Rohbauarbeiten.
Ein weiteres Bauvorhaben, das das BIMiD-Konsortium ausgewählt hat, um es während der Planungs- und Bauprozesse als assoziiertes BIM-Referenzobjekt wissenschaftlich zu begleiten, ist das »OfficeCenter Pionierkaserne« in Ingolstadt. Der private Bauherr und das Planungsbüro pbb Planung + Projektsteuerung GmbH befinden sich derzeit in der Ausführungsplanung für den viergeschossigen Neubau mit Tiefgarage, Ladengeschäften und Gastronomie im Erdgeschoss sowie Büros und Praxisräume in den oberen Etagen mit insgesamt 12.000 Quadratmetern Fläche. Der Baubeginn ist für Herbst 2015 anvisiert, die Fertigstellung für ein Jahr später.

BIM auf dem Weg ins Bewusstsein der Öffentlichkeit

»Das Förderprojekt BIMiD soll den Einstieg in das Entwicklungsfeld der integralen Planung erleichtern und der mittelständig geprägten deutschen Bau- und Immobilienwirtschaft mittelfristig dazu verhelfen, international auf diesem Gebiet aufzuschließen. Durch das Building Information Modeling sind erhebliche Effizienz- und Qualitätssteigerungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette möglich«, ist sich auch Professor Klaus Peter Sedlbauer sicher, Leiter des Fraunhofer IBP und Ordinarius des Lehrstuhls für Bauphysik an der TU München. Um diese Vorteile zunehmend in den öffentlichen Fokus zu bringen, beschäftigt sich das sechste Arbeitspaket des BIMiD-Projekts mit der Öffentlichkeitsarbeit. Ziele sind dabei die Sensibilisierung der Bau‐ und Immobilienindustrie für das Thema BIM und die Notwendigkeit zur Etablierung entsprechender E‐Business‐Standards, die Berichterstattung über das Förderprojekt, die Dokumentation des Prozesses sowie die öffentlichkeitswirksame Aufbereitung des Projektfortschritts und der Ergebnisse oder die Zusammenarbeit mit Verbänden. Zudem werden laufend Veranstaltungen zum Thema angeboten, wie zum Beispiel das kostenlose Fachsymposium in Neumarkt in der Oberpfalz. Interessierte können sich beim Newsletter anmelden, um regelmäßig über die aktuellen Fortschritte des Projekts BIMiD informiert zu sein.
Die Frage »BIM oder nicht BIM« steht auch in Deutschland für viele große Planungsbüros und Unternehmen nicht mehr zur Disposition. Die Methode bringt aber auch KMUs viele Vorteile, möchte man im Wettbewerb bestehen und Bauprojekte flexibel und nutzerorientiert planen und bauen.
taf
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