Flexibel, energieeffizient und am Nutzer orientiert – das Büro der Zukunft steht in Holzkirchen

Forschung im Fokus März 2012

Am Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP in Holzkirchen steht ein kleines Hochhaus – und darin befindet sich das Büro der Zukunft: flexibel, energieeffizient und vor allem am Verhalten der Nutzer orientiert. Einmal mit der entsprechenden Technik ausgerüstet, regelt es sich mehr oder weniger von selbst, wird höchstens online überwacht, benötigt weder Licht- noch Heizungsschalter – und Menschen trifft man dort nur gelegentlich an. Das VERU (Versuchseinrichtung für Energetische und Raumklimatische Untersuchungen), ein dreigeschossiges Versuchsgebäude in Stahlbetonkonstruktion, verfügt über sechs quadratische Räume, die einzeln oder in Kombination zu Versuchszwecken genutzt werden. Würde man bei einem normalen Haus den Wandaufbau verändern wollen oder zusätzliche Komponenten in die Fassade integrieren, wäre das mit massiven baulichen Maßnahmen verknüpft. Nicht so im VERU: Die Fassadenhülle besteht aus einzelnen Segmenten, die einfach ausgetauscht und beispielsweise mit verschiedenen Wandaufbauten oder Sonnenschutzsystemen ausgestattet werden können. »Bei Untersuchungen am VERU steht besonders das Zusammenwirken von Fassade, Raum und Anlagentechnik im Vordergrund. Welche Technik mit welcher Fassade bei möglichst geringem Energieaufwand schafft zum Beispiel ein optimales Wohlbefinden bei den Nutzern. Wir haben hier in Holzkirchen die einzigartige Möglichkeit, praxisnahe Untersuchungen im 1:1-Maßstab unter realen Bewitterungseinflüssen durchzuführen«, beschreibt Herbert Sinnesbichler, Leiter der Arbeitsgruppe Evaluierung und Demonstration, sein Minihochhaus.

Die Wissenschaftler um Herbert Sinnesbichler erforschen die unterschiedlichsten Dinge rund um das Thema Gebäudehülle: Zum einen beschäftigen sie sich mit Sonnenschutzsystemen und deren Steuerung, zum anderen untersuchen sie den Energieverbrauch für Beheizung, Kühlung und Beleuchtung sowie die raumklimatische und visuelle Behaglichkeit für die Nutzer. Wann beispielsweise aktiviert sich der Sonnenschutz und wie viel Kunstlicht wird dann zusätzlich benötigt, um ein für den Nutzer optimales Lichtverhältnis im Büro zu schaffen? Dieses Zusammenspiel erfolgt im VERU natürlich voll automatisch und ohne unmittelbar menschliches Zutun. Bei den Versuchen kommen ohnehin selten reale Menschen zum Einsatz. »Personenversuche sind meist sehr aufwendig und teuer, deshalb simulieren wir den menschlichen Stoffwechsel mit Wärmestrahlern und Luftbefeuchtern«, erklärt Sinnesbichler. Und so werden die Versuchsräume statt mit Büroangestellten mit Messfühlern für Luftbewegungen, Temperatur und Feuchte sowie für die Lichtverhältnisse ausgestattet. Alle Büros im VERU sind ähnlich aufgebaut und lassen deshalb vergleichende Messungen zu. Was sich ändert, ist jeweils die Fassade. Die so erfassten Werte laufen anschließend in einer Datenbank zusammen. Mit Hilfe der am Fraunhofer IBP entwickelten Software IMEDAS, können diese Daten von jedem beliebigen Computer weltweit über das Internet in Echtzeit abgerufen, überwacht, ausgewertet und grafisch dargestellt werden. Störungen im Versuchsablauf werden gegebenenfalls per Email oder SMS an die Forscher gemeldet.

Ein weiterer Schwerpunkt liegt in der fassadenintegrierten Anlagetechnik. Eine moderne Fassade besteht aus mehr als nur Ziegeln und Dämmstoff. Vielmehr können heute zahlreiche Energieversorgungssysteme eines Gebäudes wie dezentrale Lüftungsgeräte, Solarabsorber, Photovoltaikmodule, thermische Speicher oder Beleuchtungseinheiten in die Gebäudehülle integriert werden. »Damit diese Komponenten Hand in Hand funktionieren, müssen sie an die speziellen Randbedingungen der Fassade angepasst und für ihre jeweiligen Einsatzbereiche optimiert werden«, erklärt Sinnesbichler den Sinn der Untersuchungen. Dafür wurde das VERU eigens mit einer Fassade nach dem Baukastenprinzip ausgestattet: Einzelne Elemente können komplett ausgetauscht werden. Zellen mit variabler Raumtiefe, die sich hinter den Fassadenelementen befinden, erlauben die praxisnahen Untersuchungen unter realer Bewitterung, die die Versuchseinrichtung VERU so einzigartig machen. Auf Grund der großen Flexibilität des Gebäudes können sowohl konventionelle als auch innovative Fassadensysteme getestet und miteinander in Bezug auf Energieverbrauch oder Behaglichkeit, verglichen werden. Unabhängig von den einzelnen Untersuchungen ist der Messstand mit einer umfangreichen, hochmodernen Grundausstattung ausgerüstet: neben einer zentralen Warmwasserheizanlage mit Gasbrennwertkessel oder einer ebenso zentralen Kälteversorgung mit Kaltwassernetz, können beispielsweise auch raumweise zeitgesteuerte Luftwechsel eingestellt, eine Zuluftaufbereitung mit Vorheizung, Vorkühlung Be- und Entfeuchtung vorgenommen, modulare Wärmequellen eingestellt werden. »Mit dem VERU haben wir wirklich traumhafte Voraussetzungen für unsere Forschungsarbeit. Ob nun ein Konzept für Konferenzräume, für kleine oder für Großraumbüros gefragt ist – wir können zahlreiche Voraussetzungen und Umstände an und in der Gebäudehülle sowie in den einzelnen Räumen darstellen und simulieren, auswerten sowie schließlich die Ergebnisse aufbereiten«, fasst Herbert Sinnesbichler die Vorzüge der Versuchseinrichtung zusammen.

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