Alles nur heiße Luft? – Forschung zur thermischen Behaglichkeit in Räumen

Forschung im Fokus August 2012

Die Sonne scheint, die Anzeige des Thermometers steigt bis auf 30 °C, es weht ein leichter Wind – ein schöner Sommertag, den man doch gerne im Freibad oder am See verbringen möchte. So schön das Wetter draußen ist, so unangenehm kann es in Innenräumen werden. Das Büro beispielsweise ist oft stickig und aufgeheizt. Durchschnittlich verbringen hier die meisten Berufstätigen bis zu 80 Prozent ihrer Arbeitszeit. Im Sommer kommt es oft zu überhöhten Temperaturen und im Winter dagegen weisen Büroräume in der Regel eine zu niedrige Luftfeuchte auf. Die Folgen sind beispielsweise trockene Augen, gereizte Schleimhäute sowie Ermüdungserscheinungen. Fenster auf, Fenster zu – auch ständige Streitereien zwischen Schreibtischnachbarn wegen des Lüftens stehen in vielen Büros auf der Tagesordnung. Leistungsfähigkeit, Konzentration und das Wohlbefinden werden durch ungünstige Bedingungen im Arbeitsumfeld negativ beeinflusst. So entsteht eine Unbehaglichkeit, die durch klimatische Zustände in Innenräumen bedingt ist. Um Abhilfe zu schaffen, analysiert eine Forschungsgruppe um Thomas Kirmayr des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP die spezifische raumklimatische Situation. Die Wissenschaftler erforschen und entwickeln optimierte Lüftungskonzepte zur Verbesserung der thermischen Behaglichkeit in Räumen.


»Problemerkennung – Ursachenanalyse – Simulation – Konzeptentwicklung – Umsetzung in der Praxis. Das ist die Vorgehensweise, um eine raumklimatische Situation zu analysieren und diese im Anschluss entsprechend zu optimieren, wenn Probleme bei Bestandsgebäuden auftreten«, erklärt Kirmayr. Zunächst verschaffen sich die Fraunhofer-Wissenschaftler einen Überblick der raumklimatischen Situation vor Ort. Dies geschieht mit einer sogenannten Ist-Situationsanalyse an der betroffenen Stelle. Zudem müssen saisonale Gegebenheiten berücksichtigt werden. »Nehmen wir das Beispiel Bürokomplex: Wenn inner- und außerhalb des Gebäudes ähnlich hohe Temperaturen herrschen und kein Wind das System in Schwung bringt, hilft oft auch das offene Fenster nicht. Die Konzentration und die Leistungsfähigkeit nehmen ab«, verdeutlicht der Wissenschaftler die Problematik. »Ob kalte Winter oder die heißen Sommertage – auch jahreszeitlich bedingte Temperaturunterschiede müssen bei der Planung von Neubauten oder bei Sanierungsvorhaben berücksichtigt werden, denn auch diese Faktoren beeinflussen das Behaglichkeitsempfinden«, so der Diplom-Wirtschaftsingenieur Kirmayr weiter.
Ursachen für Beschwerden, wie trockene Augen, gereizte Schleimhäute, fehlende Konzentration oder Schwindel, können zudem durch Emissionen verursacht werden. Die Wissenschaftler müssen somit diese Faktoren ebenso in ihren Untersuchungen berücksichtigen. Zu diesem Zweck nehmen die Fraunhofer-Forscher Luftproben und die Kollegen aus der Abteilung Umwelt, Hygiene und Sensorik analysieren sie auf ihre inhaltliche Zusammensetzung hin. Auf diese Weise können flüchtige, organische Stoffe sowie ausgewählte Aldehyde und Ketone identifiziert und quantifiziert werden.
Können die Forscher erhöhte und/oder gesundheitsschädigende Emissionen ausschließen, werden im nächsten Schritt die Durchlüftung der Räume und die Faktoren der thermischen Behaglichkeit analysiert. Die Untersuchungen vor Ort konzentrieren sich auf Komponenten wie Strömung, Luftwechsel, Temperatur und Luftfeuchte, die maßgeblich Einfluss auf die Behaglichkeit haben. Mit Hilfe eines eigens für diesen Zweck von Experten des Fraunhofer IBP konstruierten Messbaums lässt sich ein detailliertes Vorortbild erstellen. Dieser Messbaum besteht aus mehreren Sensoren, die die Feuchte, die Lufttemperatur und Strahlungswärme, die umgebende Wände abgeben, sowie die Bewegung der Luft in mehreren Schichten erfassen. Die umfangreichen Messergebnisse tragen dazu bei, dass sich die Wissenschaftler ein ausführliches Bild der jeweiligen raumklimatischen Situation machen können.
Nun muss noch der Luftwechsel, das heißt der Austausch von alter durch frische Luft, bestimmt werden. An heißen und windstillen Sommertagen gelangt durch das Öffnen der Fenster oft zu wenig frische Luft in die Büroräume. Die freie Lüftung ist grundsätzlich von den natürlichen äußeren Antriebsbedingungen, wie dem Wind und den Temperaturunterschieden zwischen innen und außen, abhängig und aufgrund dessen schwer zu ermitteln. Deshalb greift das Team um Kirmayr zu verschiedenen raumklimatischen Kurz- oder Langzeitmessungen. Damit lassen sich Luftwechsel auch unter Berücksichtigung unterschiedlicher außenklimatischer Bedingungen erfassen. Die wohl gängigste Messmethode ist eine Tracergasmessung, ein spezielles Verfahren zur Erfassung des Luftwechsels und des Luftalters in Räumen. Dazu emittieren die Fraunhofer-Forscher ein in der Luft wenig vorhandenes unkritisches Gas und bestimmen wie schnell das Luft-Gas-Gemisch „verdünnt“ wird, also die Konzentration durch Austausch mit frischer Außenluft abgebaut wird. Anhand dieser Werte können die Forscher Luftwechsel und -alter zuverlässig ermitteln. Werden darüber hinaus zwei Tracergase verwendet, ist es möglich auch den Luftwechsel zwischen zwei Räumen zu bestimmen. Durch Langzeitmessungen über mehrere Wochen hinweg können die Wissenschaftler sowohl unterschiedliche Belegungssituationen, Nutzerverhalten und Tag-/Nachtsituation sowie außenklimatische Schwankungen mit in ihre Berechnungen einbeziehen. Anschließend finden die aus den Messungen gewonnenen Daten Eingang in entsprechende Simulationsmodelle der Raumdurchlüftung. Berechnungen verschiedener Lösungsvorschläge mit derartigen Simulationsmodellen unterstützen die Wissenschaftler bei der Ermittlung des optimalen Luftwechsels in den betreffenden Räumen. Diese Untersuchungen und Bewertungen anhand von messtechnisch verifizierten Berechnungen erleichtern Entscheidungsträgern in Unternehmen das weitere Vorgehen. »Sowohl bei Bestandsgebäuden als auch bei Neubauten ist es sinnvoll, die Auswirkungen einer Maßnahme abschätzen zu können, bevor sie realisiert wird und Kosten verursacht. Deshalb sind bei unserer Arbeit zuverlässige Simulationen sehr wichtig«, erklärt Kirmayr. Zum einen können die Wissenschaftler mit ihrer Hilfe die empirischen Daten visualisieren. Zum anderen ist es ihnen so möglich, nicht nur Ist-Zustände darzustellen, sondern auch mögliche Lösungen anhand der Simulation zu demonstrieren und zu bewerten. »Das ist vor allem dann wichtig«, so Kirmayr, »wenn Unternehmen umfangreiche Investitionen tätigen müssen, um die raumklimatische Situation zu verbessern«.
Die detaillierteste Möglichkeit Lüftungsszenarien zu untersuchen bieten sogenannte CFD-Strömungssimulationsmodelle (Computational Fluid Dynamics). Damit sind die Raumklima-Spezialisten in der Lage, die Durchmischung der Luft für verschiedene Lüftungsszenarien zu analysieren und eine Beurteilung neuer Lösungsansätze zu formulieren. Des Weiteren können die Luftströmungen und die für störende Zugluft maßgebliche Luftturbulenz im Raum detailliert berechnet werden. Damit lassen sich schließlich verschiedene raumklimatische Konzepte durchspielen, um die Lösung mit dem größtmöglichen Potenzial für das Untersuchungsobjekt, wie beispielsweise das zuvor beschriebene Büro, zu finden. Genau hier entsteht oft ein Zielkonflikt für Unternehmen: Kosteneffizienz bei der Ausstattung der Büros sowie der Gebäude, in denen sie sich befinden, versus optimaler Leistungs- und Wirkungsfähigkeit der Mitarbeiter, die in diesen Büros arbeiten. »Deshalb«, so erklärt Kirmayr, »sollten diese Überlegungen so früh wie möglich, am besten bereits bei der Planung des Gebäudes, berücksichtigt werden«. Und ergänzt: »Dies führt zu einer maximalen Behaglichkeit, hoher Nutzerakzeptanz und letztlich Leistungsfähigkeit und vermeidet spätere Folgekosten durch Konflikte und Sanierungsmaßnahmen«.
Sind die Probleme erst einmal erkannt, lassen sich häufig Lösungen finden, von denen alle profitieren. Ein mechanisches Lüftungskonzept mit optionaler Wärmerückgewinnung könnte beispielsweise dem ewigen Öffnen und Schließen der Fenster ein Ende bereiten. Im Gegensatz zu den üblichen manuellen Fensteröffnungen gewährleistet eine mechanische Lüftungsanlage konstant eine optimierte Raumbelüftung, kann unerwünschte Stoffe herausfiltern und ist von äußeren klimatischen Bedingungen unabhängig. »Jedoch muss hier eine exakte und durchdachte Planung für die nötige Behaglichkeit sorgen. Eine Trennung der Belüftung von Heiz- und Kühlaufgaben ist für Bürogebäude auf jeden Fall anzuraten. Dann kann man auch das Problem der zu trockenen Luft im Winter besser und ohne zusätzliche aktive Befeuchtung in den Griff bekommen. Aber auch die Form und Anordnung der Luftauslässe, genauso wie eine intuitive Bedienbarkeit und Eingriffsmöglichkeit durch den Nutzer sind entscheidend für eine optimale Behaglichkeit«, erläutert Kirmayr. Neben Vorteilen für die Raumnutzer hat eine derartige Anlage auch energetische Vorteile: »In größeren Gebäuden mit einer mechanischen Lüftungsanlage ist heute eine Wärmerückgewinnung von 70 bis 80 Prozent realisierbar, in kleineren sogar bis zu 90 Prozent.« Um die Vorteile einer Fensterlüftung mit denen mechanischer Lüftungsanlagen zu verbinden, beschäftigen sich die Forscher am Fraunhofer IBP auch mit innovativen hybriden Lüftungssystemen. Mit intelligenten Regelungsalgorithmen und automatisierten Fenstern gelingt es hier ebenfalls, eine Verminderung des niedrigen Energieverbrauchs bei gleichzeitig hoher Luftqualität und gutem thermischen Komfort zu realisieren.
Letztlich ist ein behagliches Raumklima von vielen Faktoren abhängig. Kirmayr: »Die Erfahrungen haben gezeigt, dass eine sorgfältige Planung viele spätere Probleme und Kosten vermeiden kann und dabei ein ganzheitlicher Ansatz hinsichtlich äußerer Klimabedingungen, Architektur, technischer Komponenten und verwendeter Materialien wünschenswert ist. Treten jedoch im Bestand raumklimatische Probleme auf, können durch die beschriebenen Methoden oft kostengünstige und wirkungsvolle Lösungen gefunden werden«.
(dak/ate)
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