Kaugummi kauen für die Forschung

Forschung im Fokus Februar 2015

Die Mitarbeiter des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP am Standort Holzkirchen erhielten Ende letzten Jahres eine zunächst seltsam klingende Email. Es würden ab jetzt in der Kantine jeden Tag Kaugummis bereit stehen, die die Kollegen bitte fünf Minuten kauen und dann in den daneben aufgestellten Behälter entsorgen sollten, erklärte der Diplom-Mineraloge Sebastian Dittrich aus der Arbeitsgruppe Betontechnologie und funktionale Baustoffe, die zur Abteilung Bauchemie, Baubiologie und Hygiene gehört. Doch wozu das Ganze? Hintergrund ist ein Projekt, das sich mit der Reinigungsfähigkeit von Pflastersteinen beschäftigt. Denn die Beseitigung starker Verschmutzungen von Straßenpflastern stellt Kommunen und Städte jedes Jahr vor große Herausforderungen.

Zahlreiche Veranstaltungen und Events unterschiedlichster Größe spielen sich jedes Jahr auf Deutschlands öffentlichen Plätzen und in den Fußgängerzonen der Städte ab. Neben großen Abfallmengen bleiben aber auch nachhaltigere Spuren – vor allem auf dem Straßenpflaster – zurück. Besucher und Spaziergänger hinterlassen beispielsweise Zigaretten- und Kaugummireste, Buden und Verkaufsstände häufig Öl-, Getränke-, Ketchup- oder Senfflecken. Die Reinigungskosten zur Erhaltung eines schönen und gepflegten Stadtbildes sind hoch und werden, wenn nicht vom Veranstalter, vom Steuerzahler getragen. Allein in der Stadt Duisburg sind 212 Beschäftigte in der Straßenreinigung für unter anderem 107.000 Quadratmeter Basarstraßen, also Straßen, an denen Geschäfte liegen, zuständig – weitere Straßen, Rad- und Gehwege kommen noch hinzu. Fußgängerzonen müssen je nach Straßenreinigungssatzung mehrmals täglich gesäubert werden. Je nachdem welcher Art und Qualität die verlegten Pflastersteine oder Beläge sind, ist die Reinigung mehr oder weniger aufwendig und teuer. So weisen manche Pflastersteine auf Grund bestimmter physikalischer Eigenschaften eine bessere Reinigbarkeit auf als andere. »Würde dies bei der Planung öffentlicher Plätze berücksichtigt, könnten die Kosten für das Entfernen hartnäckiger Verschmutzungen bereits im Vorfeld grob abgeschätzt und teilweise sogar reduziert werden«, sagt Sebastian Dittrich.

Auf Initiative kommunaler Reinigungsbetriebe haben sich neun Großstädte aus Deutschland und Österreich zu einem Projekt verbündet, das diese Problematik in Angriff nehmen wird. Zudem sind inzwischen drei Hersteller von Pflastersteinen, ein Unternehmen, das Reinigungsgeräte produziert sowie ein Fabrikant von zementärem und Reaktionsharz gebundenem Fugenmörtel mit im Boot. Ziel dieses Konsortiums ist es, die physikalischen Einflussparameter auf die Reinigbarkeit von innerstädtischen Pflastersteinflächen unter realen Witterungsbedingungen zu untersuchen.
Hier kommt das Fraunhofer IBP ins Spiel. Die Forscher dort haben sowohl das Know-how, aber auch das weltweit größte Freilandversuchsgelände mit entsprechenden Laboren zur Verfügung, um das Projekt wissenschaftlich zu unterstützen. So wurden zunächst auf insgesamt 420 Quadratmetern Freilandfläche 30 verschiedene Pflastersteinarten verlegt. »Die Flächen bestehen aus Betonsteinen mit unterschiedlichen Oberflächeneigenschaften. Es kommen sowohl beschichtete als auch unbeschichtete Steine zum Einsatz. Als Fugenmaterial verwenden wir hauptsächlich die klassische Variante Sand, allerdings untersuchen wir auch feste Verfugungen auf Zement und Kunstharzbasis «, beschreibt Dittrich den Versuchsaufbau. Die Steine werden nun über zwei Jahre in regelmäßigen Zeitabständen mit unterschiedlichen, definierten Verschmutzungen, wie beispielsweise Ketchup, Cola, Taubenkot, Kaugummi oder Öl versehen und anschließend mit einer handelsüblichen Kehrmaschine gereinigt. Dabei handelt es sich um die typischsten Produkte, die in Innenstädten Schwierigkeiten bei der Beseitigung verursachen. Die Reinigung erfolgt dabei im Wesentlichen mit Kehrbesen in trockenem Zustand. Nach einem bestimmten Zyklus führen die Forscher etwa einmal monatlich eine Nassreinigung mit einem sogenannten Schrubbdeck durch. Um die Beurteilung der Sauberkeit vor und nach der Reinigung überprüfen zu können, kommen 2-D-Kameras und 3-D-Scanner zum Einsatz. Mit deren Hilfe evaluieren die Fraunhofer-Wissenschaftler zum einen die Effizienz der Reinigungsmethode in Abhängigkeit zu Schmutzart und Steinoberfläche, zum anderen prüfen sie durch Oberflächentopografien der Steine, ob die Steinoberflächen durch den Verschmutzungs- und Reinigungszyklus mit der Zeit verändert werden und beispielsweise glatter beziehungsweise rutschiger werden. Ein gewisser Rutschwiderstandswert ist nämlich für öffentliche Flächen vorgeschrieben und kann numerisch mit einem SRT-Pendel überprüft werden. »Das SRT-Pendel misst die Mikrorauheit, also die Griffigkeit der Oberflächen und ist in Deutschland derzeit im Straßenbau für Kontrollmessungen zugelassen«, erklärt Dittrich. Diese und weitere mechanische Tests zur Ermittlung von Druckfestigkeit, Abriebwiderstand und Benetzungsvermögen (Ausbreitungsfähigkeit von Flüssigkeiten) sollen zur Charakterisierung der Steine zu Beginn und am Ende des Projektes durchgeführt werden, um etwaige Beeinflussung durch Schmutz und Reinigung auf die Dauerhaftigkeit der Steine zu detektieren.
Langfristig sollen die Erkenntnisse aus den Versuchen die Effizienz der Straßenreinigung steigern und damit die sehr hohen Reinigungskosten der Städte und Kommunen für die Innenstadtbereiche senken. Zudem sollen die Ergebnisse aber auch den zuständigen Stadtplanern als eine Art Leitfaden bei der Auswahl der geeignetsten Kombination aus Pflasterstein und Fuge für die Verlegung in den Städten dienen. Idealerweise liegt am Ende des Projektes ein Katalog vor, wonach der voraussichtliche Reinigungsaufwand für eine beliebige Pflasterfläche und Verschmutzungsart in Euro pro Quadratmeter ablesbar ist. Und dafür kauen die Mitarbeiter des Fraunhofer IBP doch gerne noch einige Zeit Kaugummi.
(taf)

 

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