Stück für Stück saniert – der Einsatz minimalinvasiver Sanierungsprozesse

Forschung im Fokus November 2014

Irritiert stellt der Mieter am Abend fest, dass sein Wohnhaus von einem gewaltigen Gerüst umgeben ist und schlagartig erinnert er sich an die Ankündigung der Hausverwaltung: das Wohnhaus soll außen saniert werden. Neue Fassade, neue Fenster, damit sich danach die Nebenkosten senken. Schon graut ihm vor monatelanger Lärmbelästigung und künstlicher Dunkelheit durch Abdeckplanen. Ja, wahrscheinlich wird es auch immer wieder Pausen und Verzögerungen geben, die die Sanierung in die Länge ziehen. Fremde Menschen werden mit schmutzigen Schuhen durch seine Wohnung laufen und wie soll er dem Chef erklären, dass er von Zeit zu Zeit frei nehmen muss, um die Handwerker in sein Refugium zu lassen und sie zu beaufsichtigen. Horrorszenarien, die vielen Mietern, gerade in Mehrfamilienhäusern und größeren Wohnanlagen, nicht fremd sind. Doch in der Tat sind diese Sanierungsmaßnahmen häufig sinnvoll und richtig. So fällt in den meisten Industrieländern Europas mehr als 80 Prozent des Gebäudewärmebedarfs in Altbauten an. Trotzdem liegt die aktuelle jährliche Sanierungsrate zur Energieeffizienzsteigerung bei weniger als einem Prozent. Das mag unter anderem daran liegen, dass Eigentümern die Entscheidung zu einem solchen Schritt oft schwer fällt. Die Maßnahmen zur Gebäudesanierung müssen daher nicht nur energetisch effizient, sondern auch so kostengünstig wie möglich, in überschaubaren Zeiträumen durchführbar und am besten mit einer entsprechenden Förderung wieder zu erwirtschaften sein. Traditionell erfolgen diese Sanierungen getrennt nach Gewerken und das macht die Planung und Durchführung für alle Beteiligten sehr aufwendig. Baumängel bringen im Nachgang ebenso Ärger wie starke Beeinträchtigungen der Nutzer, die im schlimmsten Falle sogar Mietminderungen nach sich ziehen können.

Minimalinvasive Eingriffe sind nicht nur in der Medizin auf dem Vormarsch, sondern sind auch zunehmend ein Thema in der Baubranche. Denn durch ein umfassendes und gut geplantes Konzept und den Einsatz minimalinvasiver Sanierungsprozesse können die oben genannten Probleme für Mieter und Eigentümer gleichermaßen vermieden werden. »Vor allem der Einsatz vorgefertigter multifunktionaler Bauteilkomponenten ist für die energetische Sanierung von Wohngebäuden ein vielversprechender Ansatz und auch bei den meisten Bestandsbauten anwendbar«, erklärt Horst Stiegel, Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP. Gemeinsam mit weiteren Kollegen beschäftigt sich Stiegel unter anderem im Rahmen des Projekts »Entwicklung von vorgefertigten multifunktionalen Systemen zur energetischen Sanierung von Wohngebäuden« mit der Entwicklung ebensolcher vorgefertigten Bauteile. Dieses Projekt wurde auch vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) gefördert. Ziel dabei ist es mitunter, minimalinvasive und multifunktionale Sanierungskonzepte anzubieten, die durch einen hohen Vorfertigungsgrad Störungen der Gebäudenutzer deutlich verringern und den gesamten Bauprozess erleichtern und straffen. »Vereinfacht heißt das, dass in der Werkstatt beispielsweise Fenster- oder ganze Fassadenmodule hergestellt werden, die bereits mit einem Dämmstoffkragen und gegebenenfalls mit einem Lüftungssystem versehen sind. Diese werden dann vor Ort auf die äußere Gebäudehülle aufgesetzt. Zusätzlich können dann bestehende Heizsysteme in die Sanierungsmodule integriert oder ergänzt werden«, so der Wissenschaftler. Dies spart natürlich Zeit und somit Geld.
Dem stehen jedoch hohe Anforderungen an den Konstruktions- und Bauprozess gegenüber. Um diese Anforderungen erfüllen zu können, entwickelten Stiegel und seine Kollegen aus der Arbeitsgruppe Anlagentechnik Systeme und Module für einen konkreten Einsatz im Sanierungsablauf.

Neue Konzepte

Bei derzeit durchgeführten Sanierungsmaßnahmen mit vorgefertigten Elementen wurden oftmals stapelbare (eingeschossige) horizontal orientierte Holz-Rahmen-Konstruktionen mit bereits eingebauten Fenstern oder Türen verwendet. Die Grundkonstruktion dieser Wandteile entspricht weitestgehend dem traditionellen Prinzip von Fertighäusern. Dabei griff man auch auf den Einsatz der von Fertighausfirmen erprobten Transportlogistik und Montagetechniken zurück. Die Integration von anlagentechnischen Systemen, speziell die der Versorgungsleitungen und Kanäle, erwies sich bei horizontal stapelbaren, nur jeweils geschosshohen Elementen als schwierig. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass sich für die Vollintegration dieser Haustechnikmodule vertikale, über mehrere (alle) Geschosse orientierte Systeme, besser eigneten. Ein Verbinden von Kanälen und Leitungen zwischen den Segmenten war hier nicht erforderlich; denn die Sammelleitungen und Sammelkanäle können entweder im Sockel- oder im Dachbereich erfolgen. Doch gestaltete sich der Transport zur Bestandsfassade wegen ihrer Größe ebenso schwierig wie die Montage. »Die Großelemente müssen auf dem LKW liegend transportiert und anschließend um 90 Grad gedreht werden, um sie überhaupt montieren zu können. Die Anbringung dieser Elemente am Gebäude erfordert zwingend eine gerüstfreie Fassade, da aufgrund ihrer Höhe ein Einfädeln hinter das Gerüst zu großen Problemen führt«, schildert Stiegel. »Und somit war klar, dass wir kleinformatiger werden müssen.« Die Vorteile lagen für die Forscher schnell auf der Hand: Das neue »Kleinelementprinzip« stellte nicht nur geringere Anforderungen an die Planung, sondern ermöglichte auch die Nutzung der üblichen Logistik. Zudem konnten die Leitungen zwischen den einzelnen Bauteilen geführt werden und die Beschränkungen für die Elementgeometrie für die Fassadengestaltung entfielen.

Vorgefertigte Fenstermodule

Das Fenster ist seit jeher das technologisch anspruchsvollste Bauteil in der Gebäudehülle. Dies gilt für seine Fertigung, besonders aber auch für den Einbau in die vorhandenen Öffnungen am Objekt. »An diesem Punkt finden sich leider auch die meisten Planungs- und Ausführungsmängel. Durch die Verlagerung diffiziler und somit fehleranfälliger Montagearbeiten hin zu einer Vorfertigung unter Werkstattbedingungen, lässt sich die Ausführungsqualität deutlich steigern«, erklärt Horst Stiegel. Hier werden, unter Berücksichtigung des minimalinvasiven Sanierungsansatzes auch die anlagentechnischen Komponenten und Versorgungssysteme in die Fassade integriert. Die Versorgungssysteme müssen durch die Außenwände ins Gebäudeinnere geführt und beispielsweise mit Heizkörper oder elektrischem Rollladenantrieb verbunden werden. Dazu entwickelten die IBP-Wissenschaftler eine Technikbox, die unterhalb der demontierbaren Fensterbank unmittelbar in das Fensterelement eingesetzt wird. Innerhalb dieser Box können neben Lüftern, Wärmetauschern und Filtern alle notwenigen gebäudetechnischen Komponenten zur Versorgung der jeweiligen Räume eingebracht werden, die vom Nutzer in Form einer Aufputzinstallation niemals akzeptiert würden. Die Lösung liegt in der Ausführung einer um den Fensterblendrahmen umlaufenden Zargen- bzw. Futterkonstruktion. Diese Konstruktion kleidet die vorhandene Fensterlaibung vollständig aus, ermöglicht eine sichere Montage des Fensters in der gewünschten Ebene des Wandquerschnitts und vermeidet wesentliche Nacharbeiten im Wohnraum. Der zweite wichtige Aspekt des neuartigen Ansatzes ist die Platzierung der Technikbox. Mit dieser Anordnung wird ein gut zugänglicher Raum zur Aufnahme von Technikkomponentenbereitgestellt.

Innovative Lüftungslösungen

Fürdie Versorgung mit Frischluft stehen zentrale und dezentrale Lüftungssysteme zur Verfügung. Zentrale Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung benötigen Luftkanäle für jede Wohnung, um die Versorgung der Zu- und Ablufträume zu gewährleisten. Die nachträgliche Installation solcher Kanäle gestaltet sich in Bestandsgebäuden aber aufgrund der nötigen Eingriffe in die Baustruktur als sehr aufwändig beziehungsweise wegen fehlendem Platz oftmals als unmöglich. Eine vielversprechende Alternative hierfür stellt die Integration von Luftkanälen in die Fassadenkonstruktion dar. Die Mitarbeiter des Fraunhofer IBP haben dazu das FAW-System ® entwickelt, bei dem Dämmung und Luftkanal in einem Modul vereint sind. Dazu werden Aussparungen maschinell bei der Fertigung in die WDVS-Dämmstoffplatte eingebracht. Diese dienen dann direkt zur Luftführung. Der Einbau der speziellen EPS-Dämmplatten erfolgt im Rahmen der Sanierung an den Stellen, an denen eine Leitungsführung benötigt wird. Aufgrund der Kompatibilität mit konventionellen Wärmedämmverbundsystemen (WDVS) ist der Gesamtinstallationsaufwand nur geringfügig höher als bei reinen WDVS-Sanierungen. Lediglich die korrekte Positionierung zur Sicherstellung von luftdichten Verbindungen, der Anschluss an zentrale Verteilleitungen sowie der Anschluss an die Zu- und Ablufträume muss beachtet werden.
Die Nachfrage nach neuen und innovativen Konzepten zur Sanierung von Bestandsbauten mit Hilfe von vorgefertigten, multifunktionalen Bauteilen steigt europaweit. Somit ist auch der Forschungsbedarf dazu ungebrochen hoch. Ihre Energieeffizienzpotentiale können diese Sanierungslösungen ausspielen, wenn bauphysikalisch optimierte Lösungen beispielsweise hinsichtlich der Fenstereinbaulage oder Anschlussdetails ermöglicht werden oder gebäudetechnische Systeme wie Lüftung und Heizung mit integriert werden. Durch die minimalinvasive Bauweise kann die Sanierung außerdem im bewohnten Zustand erfolgen. Diese Synergien schaffen zusätzliche Motivationen für Investoren, mehr als nur das Nötigste im Rahmen der Sanierung durchzuführen. (taf)
 

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