Mit der Stimme Ciceros – physische und stimmliche Voraussetzungen des öffentliches Redens

Forschung im Fokus Juli 2014

Internetnutzer sind heutzutage in der Lage, virtuell durch das antike Rom zu spazieren und können sich dank Google Earth ein recht genaues Bild darüber machen, wie die Stadt beispielsweise 320 n. Chr. auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung ausgesehen hat. Wie von Zauberhand entstehen aus Ruinen römische Prachtstraßen, ehrfurchtgebietende Bauten wie das Kolosseum, in dem bis zu 50000 Menschen Platz fanden, oder das Forum Romanum, wo einst römische Senatoren debattierten und ihre großen Reden hielten. Wie wäre es, wenn uns auf dieser Reise in die Vergangenheit auch Höreindrücke begleiten und wir etwa eine Ansprache an das Volk hören oder eine Debatte im Senat verfolgen könnten? Wie sprachen sie, die großen Redner namens Cicero oder Gaius Julius Cäsar? Konnten sich die Redner der römischen Republik einer Menschenmenge von mehr als 10000 Personen ohne Hilfsmittel wie einem Schallverstärker überhaupt verständlich machen? Historiker gehen davon aus, dass das gesprochene Wort, die großen Reden im Senat und Ansprachen an das Volk wesentliche Mittel zur Erlangung und Erhaltung der Macht im römischen Reich waren. Vor diesem Hintergrund bündelt ein interdisziplinäres Konsortium aus Akustikexperten des Fraunhofer IBP sowie Stimmbildnern, Philologen und Historikern der Universität Stuttgart im Projekt »Wie laut sprach Cicero?« sein fachspezifisches Wissen, um das gleichermaßen historisch wie aktuelle Thema der physischen und stimmlichen Voraussetzungen des öffentliches Redens zu erforschen. Nach wie vor ist die Macht der Sprache allgegenwärtig in Medien, Wirtschaft und Politik. Übertragen in unsere heutige Zeit haben die Erkenntnisse aus diesem Projekt eine hohe Relevanz und vielversprechende Aussagekraft.

Cicero gehörte zweifellos zu den größten Rednern des Altertums. 58 seiner Reden sind uns vollständig überliefert, von 20 besitzen wir Bruchstücke, von 35 lediglich die Titel. »Die Stimme Ciceros nachzuahmen und ihn in seiner Umgebung mit seinen Zuhörern und Diskutanten am Computer hörbar darzustellen, war eine Idee, die uns gepackt hat«, begeistert sich Prof. Dr.-Ing. Philip Leistner vom Lehrstuhl für Bauphysik der Universität Stuttgart und Leiter der Abteilung Akustik am Fraunhofer IBP für das ungewöhnliche Vorhaben. »Es geht dabei nicht um eine exakte Rekonstruktion von Ciceros leibhaftiger Stimme oder einer bestimmten Rede in ihrem historischen Kontext. Vielmehr wollen wir in unseren Versuchen herausfinden, über welche Stimmkraft ein römischer Redner generell verfügen musste, um Gehör zu finden, beispielsweise in Debatten auf dem Forum Romanum oder im Senat«, führt Leistner weiter aus. »Dazu haben wir verschiedene Umgebungsbedingungen und Rednersituationen an Originalschauplätzen bestmöglich recherchiert, modelliert und variiert, da wir ja nicht wissen, wie sich das Publikum verhalten hat. War es diszipliniert und verhielt sich dementsprechend ruhig oder gab es lautes Gemurmel, Zwischenrufe oder gar Gegenreden«.
Wie mag wohl das Zitat Ciceros »Patria est, ubicumque est ben – Die Heimat ist dort, wo man sich wohlfühlt« von ihm gesprochen worden sein? Stimmgewaltig oder eher zurückhaltend mit monotoner Stimme, dafür ausdrucksstark in Mimik und Gestik? Sprachaufnahmen in einem speziellen Akustiklabor und akustische Modellrechnungen mit einer Software für Auralisation waren wichtige Schritte, der Stimme Ciceros näherzukommen. Zwei professionelle Sprecher und zugleich Lateinkenner verlasen Texte in deutscher und lateinischer Sprache in einem akustischen Freifeldraum: drei Reden Ciceros, eine vor dem Volk, eine vor dem Senat und eine Gerichtsrede, sowie zusätzlich eine fiktive Rede des Sallusts. Die Oberflächen dieses sogenannten schalltoten Raumes des Fraunhofer IBP sind mit schallabsorbierenden Materialien ausgestattet, so dass keinerlei Schall reflektiert wird. Die Tonaufzeichnungen der Sprachbeispiele wurden anschließend in eine virtuelle Raumsituation mit unterschiedlichen Sprecher- und Hörpositionen eingespielt. Als Gebäude wählten die Akustiker das Innere der Curia lulia sowie die Rostra auf dem Forum Romanum im Freien. Die Rostra war eine erhöhte Plattform eigens für Redner und daher wichtiger Bestandteil des öffentlichen politischen Lebens in Rom.
»Als wir uns die Ansprachen auf der Rostra mit den aufgezeichneten Stimmen am Computer anhörten, waren uns die Schwierigkeiten der Redner klar«, erklärt Leistner. Ein normaler Redner, der mit erhobener Stimme spricht, ist bis in etwa 20 Meter Entfernung zu verstehen. Ein stimmgewaltiger Sprecher ist immerhin noch in 40 Metern Entfernung gut zu hören. Nach 60 Metern hat das Publikum allerdings bereits Mühe, wohingegen ihn die ersten Reihen als unangenehm laut empfinden. Bisher ging man stets davon aus, dass eine Rede auf der Rostra von den meisten verstanden wurde. Die Ergebnisse zeigen aber nun, dass die Redner auf der Freifläche des Forum Romanum, vor mitunter Tausenden von Menschen, mit erschwerten Bedingungen zu kämpfen hatten. Allein die Dimensionen und eine große Menschenmenge, die zwangsläufig Hintergrundgeräusche erzeugt, beeinträchtigen – damals wie heute – in hohem Maße die Sprachverständlichkeit.
Auch die römischen Senatoren hatten es nicht leichter. Sie hielten ihre Ansprachen meist in geschlossenen Räumen, deren Akustik häufig ebenfalls sehr problematisch war. Gekennzeichnet durch eine meist quaderförmige Architektur und in der Regel mit Marmor ausgekleidet, gab es in den Räumen nur wenige Flächen oder Öffnungen, die den Schall nicht reflektierten. »Marmor reflektiert den Schall fast zu 100 Prozent«, erklärt Leistner. »Bedenkt man, dass bis zu 600 Senatoren an diesen Versammlungen teilgenommen haben, bedeutet das, dass die wenigsten etwas verstanden haben«. Leider geben historische Quellen keinen Aufschluss darüber, ob Textilien wie Vorhänge in den Räumen vorhanden waren, die eventuell den Schall gedämpft und damit die Sprachverständlichkeit erhöht haben könnten. Es blieb nur das Publikum als Schallabsorber, so dass ein großer Zulauf auch für etwas bessere Akustik sorgte.
Die Ergebnisse der Untersuchungen legen nahe, dass antike Redner über eine Stimmkraft verfügt haben, wie sie heute von Theaterschauspielern oder Opernsänger erwartet wird. Hartes tägliches Stimmtraining und konsequente körperliche Ertüchtigung entschieden damals maßgeblich über die Karriere eines Redners. Wer bereits im zarten Kindesalter über eine zu schwache Stimme verfügte, eignete sich nicht für die Laufbahn eines Politikers. Trotz widriger Umstände, wie Hintergrundgeräusche, Gemurmel, Räuspern und ein unruhiges Publikum, mussten Senatoren in der Lage sein vor der Öffentlichkeit zu sprechen – unter Umständen über mehrere Stunden hinweg. Das Auftreten der ganzen Person, von vox, vultus, gestus – Stimme, Mimik, Gestik – musste stimmig sein.
Trotz moderner Kommunikationsmethoden hat das gesprochene Wort, das Vermitteln von Inhalten und Botschaften und damit einhergehend das Durchdringen in die Köpfe der Zuhörer nichts von seiner Bedeutung verloren. Beschallungsanlagen helfen zwar, die Kommunikation zu verbessern, bringen jedoch oft nicht den erhofften Effekt. Das betrifft beispielsweise auch Klassenräume, wo es einen großen Unterschied macht, mit welcher Stimme ein Lehrer seinen Stoff vermittelt. »Es gibt viel zu viele akustisch schlechte Räume«, bedauert Leistner. »Dabei ist es häufig gar nicht so schwer, akustisch optimale Bedingungen zu schaffen. Zugleich sollten Vortragende auch etwas über den Raum wissen; wie er reagiert und wie man seine Sprechweise anpassen kann, damit man von allen gut gehört wird. Das ist schon ein wesentlicher Schritt im Ringen um die Aufmerksamkeit der Zuhörer«.
In historischer und akustischer Hinsicht sind zum Thema Verständlichkeit noch viele Fragen offen. Ein wesentliches Element der laufenden Forschungsarbeit besteht daher in einer disziplinübergreifenden Recherche, Analyse und ggf. Neubewertung historischer Quellen und archäologischer Befunde. Je präziser die Daten, die als Bewertungsmaßstab für die Auralisation eingesetzt werden, umso realistischer sind anschließend die hörbaren Ergebnisse am Computer. Es bleibt zu hoffen, dass an diesen spannenden wissenschaftlichen Fragen weiter getüftelt wird, um die Ergebnisse zu verfeinern und damit dem Klang von Ciceros Stimme noch ein Stückchen näher zu kommen.
(schw)

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